Weiterleben mit erlebter Todeserfahrung und dem jahrelangen Gefühl, tot zu sein
Nach einem überlebten Trauma mit Todeserfahrung fühlt sich (das) Leben völlig surreal an.
Alles was zuvor normal und selbstverständlich war, ist es nun nicht mehr. Ein schwer traumatisierter Mensch ist zutiefst erschüttert. Ich persönlich habe meine Traumatisierung wie ein seelisches Erbeben der höchstmöglichen Stufe erlebt.
Mein gesamtes, damals 40järiges Leben, wurde derart heftig erschüttert dass alles was einmal in meinem Leben stattgefunden hatte, aufgebrochen und chaotisch durcheinandergeschmissen worden war.
Bilder aus meiner Kindheit und Jugend sind auf der Oberfläche gelandet. Werte, Erinnerungen und Persönlichkeitsmerkmale aus meinem aktuellen Leben wurden tief unter dem Geröll verschüttet.
Jahrzehntelange Schwerstarbeit
Mit heutigem Wissen, nach mehr als siebzehn Jahren nach dem Unfall bleibt für mich die Erkenntnis, dass die Be- und Verarbeitung der überlebten Traumas physische und psychische Schwerstarbeit war. Und phasenweise wird sie immer wieder notwendig sein. Nach Flashbacks oder Re-Traumatisierungen, die auch nach Jahrzehnten noch möglich sind.
Unbekannte Parameter
Die Auseinandersetzung mit dem Erlebten ist um ein Vielfaches schwerer als die Ausübung des gelernten Berufes. In diesem weiß man, was wann zu tun ist. Verschiedene Parameter wie erforderliche Zeit, notwendige MitarbeiterInnen, welches Material usw. sind meist vorab klar definiert.
Bei der Be- und Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses ist nichts definiert und klar ist gar nichts mehr. Stattdessen gibt es unzählige unbekannte Größen. So kann ein Flashback zu jedem x-beliebigen Zeitpunkt ausgelöst werden. Während eines Konzertbesuches, ausgelöst durch ein lautes Geräusch zum Beispiel. Oder während eines Spazierganges durch die Gestik oder Mimik eines (unbekannten) Menschen. Auch Düfte und Gerüche können ein Flashback auslösen.
Keine Trauma-Schablone
Jeder traumatisierte Mensch erlebt sein Trauma anders. Es gibt keine Schablone, die auf die Trauma-Erfahrungen oder auf den Heilungsprozess einer betroffenen Person gelegt werden kann. Womit jedoch alle schwer traumatisierten Menschen zu kämpfen haben, sind übermächtige Ängste.
Übermächtige Ängste
Die Angst die Wohnung zu verlassen, Angst zu sterben, Angst vor Zurückweisung und dem Verlassenwerden, Angst vor der Zukunft, Angst vor dem Leben. Das sind nur einige der Ängste, die für schwer Traumatisierte Realität sind.
Diese Ängste „im Zaum zu halten“ kostet extrem viel Kraft und Energie. Um sie zu überwinden, braucht es Zeit und Unterstützung. Entweder in Form einer speziellen Trauma-Therapie, die meistens in eine Psychotherapie eingebettet ist und / oder in Form von Medikamenten.

Angebots-Verbesserung
Heute, im Jahr 2022 gibt es eine Vielzahl an Behandlungsformen für Traumata (Mehrzahl von Trauma).
Als ich ab 2007 auf der Suche nach einer Traumatherapie war, gab es im gesamten Landkreis Darmstadt gerade einmal drei ausgebildete Trauma-Therapeuten. Davon war eine Therapeutin menschlich absolut inakzeptabel.
Ich hatte das große Glück, ab 2009/2010 einen Therapieplatz für eine EMDR-Trauma-Therapie bei Dr. Lucien Burkhardt zu bekommen.
Knapp drei Jahre hat er sich mit mir durch meine Traumatisierung gearbeitet.
Bei ihm konnte ich drei Jahre nach meinem Unfall das erste Mal über das überlebte Grauen reden, ohne mit Floskeln abgespeist zu werden wie: …das wird schon wieder…, …reis dich mal zusammen…, …wenn du dich beruhigst, kannst du auch wieder gehen... und viele andere geistfreie Bemerkungen mehr.
Besser etwas früher als zu spät
Aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich weitergeben, therapeutische Unterstützung rechtzeitig zu suchen und auch helfende Medikamente (wenn notwendig) besser früher als später einzunehmen.
Angst vor Kontrollverlust
Ich habe mich jahrelang gegen Medikamente für die Psyche gewehrt. Selbst mein Trauma-Therapeut Dr. Burkhardt konnte mich nicht davon überzeugen, Medikamente einzunehmen, die mein seelisches Chaos, meine Seelen- und Herzschmerzen lindern könnten. Ich hatte Angst, die Kontrolle über mein Chaos zu verlieren.
Im Tunnel
Ich war in einem Tunnel, der nur eine Blickrichtung kannte. Erst 2015, nach fünf weiteren Jahren Schmerz und Trauer habe ich mich bei einer ersten Behandlung durch einen Neurologen (Dr. Busse) überzeugen lassen, ein Medikament gegen all meine psychischen Beschwerden zumindest zu testen. Inzwischen hatten sich meine Befindlichkeiten zu einer mittelgradigen Depression manifestiert.
Zeitversetzte Wirkung
Etwa zehn Wochen nach der Ersteinnahme des Antidepressiva habe ich gemerkt, dass die grauenvollen Schmerzen in meinem verletzten Bein besser geworden waren. Und ich habe endlich wieder ein kleines Licht vom Boden meines Stimmungstiefs gesehen. Ein kleines Licht, dass große Hoffnung gemacht hat, dass ich vielleicht wieder aus dieser Grube herausfinden kann.
Danke an Dr. Busse
An dieser Stelle Danke an Herrn Dr. Busse für seine Überzeugungsarbeit. Durch ihre medikamentöse Einstellung (Antidepressiva und Schmermittel) hat sich mein Dasein um einige Level verbessert und viele kleine Heilungsschritte ermöglicht, die in Summe ein größerer Schritt sind. Mehr dazu in meinem Buch (Geplante Veröffentlichung 2024).
Persönliche Trauma-Definition
>>Ein schweres psychisches Trauma ist ein seelisches Erdbeben. Kein Seelenstein bleibt auf dem anderen.
Es braucht viel Zeit, Ruhe und Empathie, um das Seelenhaus wieder aufbauen zu können.
Kommen irreparable körperliche Verletzungen, gar die
Verweigerung medizinischer und menschlicher Hilfe hinzu, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein schwer traumatisierter Mensch gebrochen und eine Rückkehr in ein „normales“ Leben eventuell unmöglich ist.«
katrin dohnt, im Oktober 2020
Bildnachweise:
Bild Couch von Michael Schwarzenberger auf Pixabay
Bild Tabletten von Bild von Christian Trick auf Pixabay
Bildbearbeitungen:
wgl – wiedergehenlernen I katrin dohnt