HIRNVERLETZUNGEN: APHASIE

(Sprachstörungen)

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Unfall- oder Erkrankungsbedingte Hirnverletzungen können sehr vielfältige Auswirkungen haben. Eine davon ist die Aphasie, der Verlust oder die Störung der Sprachfähigkeit.

Persönliche Erfahrungen:
Unmittelbar nach meinem Unfall 2006 war ich im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Bedingt zum einen durch den Schock, zum anderen durch die erlittenen Hirnverletzungen (epidurale und subdurale Hirnblutungen, Schädel-Hirn-Trauma) haben mir die Worte gefehlt.

Ich wusste nicht mehr, dass ein Stuhl Stuhl heisst und ein Tisch Tisch. Die ersten Monate nach dem Unfall wusste ich nicht mal mehr meinen Namen und den von meiner Partnerin und von Freundinnen und Freunden. Eine sehr verstörende und beängstigende Erfahrung.

Wenn ich in Gesprächen nach Worten gesucht habe, wurde das als lustig abgetan. Mein Freundeskreis war der Meinung, ich mache Späße. Da mein Humor vor dem Unfall sehr ausgeprägt war, hätte dies durchaus möglich sein können. Doch nach einem Unfall mit dem Ausmaß meines überlebten Unfalls hätte jeder normal denkende Mensch ahnen können, dass meine Sprachlosigkeiten und Wortsuchen keine humoristischen Einlagen waren.

Kinderbücher als Lösung

Bis 2016 / 2017, mehr als zehn Jahre nach meinem Unfall hatte ich Probleme, für das was ich sagen wollte, die richtigen Worte zu finden. Bereits 2007 hatte ich damit begonnen, mit Kinderbüchern einen Teil meiner Probleme zu lösen.

Eine medizinische Versorgung oder Behandlung hatte ich nach wie vor nicht, so musste ich eigene Lösungen finden. Kinderbücher mit viel Bildern und mit wenig Text haben mir dabei geholfen. Auch Bilderbücher, die Gegenstände abbilden und mit einem Wort beschreiben, haben mir geholfen.

Wieder sprechen und gehen lernen

Auch das wiedergehenlernen habe ich mit Büchern für werdende Mütter begonnen. Beschreibungen mit Bildern, wie Babys aus ihrer Liegeposition in die Gehbewegung kommt, habe ich regelrecht verschlungen.

Heute, 2022 – knapp zwei Jahrzehnte nach dem Unfall, funktioniert meine Sprache zu 85 Prozent wieder (persönliche Einschätzung). In Stresssituationen versagt die Wortfindung noch. Oft vertausche ich Worte innerhalb eines Satzes, so dass mitunter unterhaltsame Redewendungen entstehen, wie … auf den Schluck muss ich erstmal einen Wasser Schreck trinken... Tatsächlich sagen wollte ich Auf den Schreck muss ich erstmal einen Schluck Wasser trinken.

Oft habe ich das Gefühl, mein Gehirn kann die benötigten Worte nicht so schnell aus seiner Ablage ziehen wie sie gebraucht werden.

Sprache hat für mich eine besondere Bedeutung. Vor meinem Unfall habe ich von klein auf geschrieben. Gedichte, Geschichten, slles was sich schreiben lässt, habe ich geschrieben. Die deutsche Sprache war wie ein Lieblingskleidungsstück.

Nur noch Platz für Wesentliches

Nicht zurück gekommen sind meine englischen Sprachkenntnisse. Als IT-lerin habe ich in meinem Beruf viele englische Fachbegriffe verwendet, meist spezielle IT-Begriffe. Privat habe ich mich jahrelang durch englische Sprachkurse gearbeitet. All das war und ist seit dem Unfall weg. Englisch ist für mich heute ein Buch mit sieben Siegeln. Und mir fehlt die Kraft, mich wieder darin einzuarbeiten. Zu wichtig sind viele Alltagsdinge, die existenziell sind. Wie zum Beispiel das Zubereiten von Mahlzeiten. Erst jetzt, siebzehn Jahre nach dem Unfall überfordert es mich nicht mehr, ein Frühstück oder ein (kaltes) Abendessen zuzubereiten, vorzugsweise Käsebrot. Seit kurzem habe ich die Kraft und die Gedanken dafür, auch Beilagen wie Oliven oder Gurken mit anzurichten.


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Ratgeber Kinder mit Schädel-Hirn-Trauma und Aphasie in der Schule

Fliegende Arme, ein schlafloses Bein und ein zuckender Kopf

Es ist Herbst 2022 – seit fast siebzehn Jahren lebe ich mein anderes, mein zweites Leben.

Vor allem die ersten dreizehn bis vierzehn Jahre kommen mir noch immer unwirklich vor. Meine zeitliche Wahrnehmung hat sich völlig verändert.
Ein Monat fühlt sich an wie drei Tage, die vergangene dreizehn bis vierzehn Jahre hat eine Wahrnehmung von maximal drei bis fünf Jahren.

Verlorene Zeit und befremdliche Begegnungen
Dazu kommt das Gefühl, zehn Jahre verpasst zu haben. Zehn Jahre, in denen ich von der Außenwelt kaum bis gar nichts mitbekommen habe. Das Erschrecken war oft groß, wenn ich im Nachhinein von Menschen erfahren habe, die in dieser Zeit verstorben oder erwachsen geworden waren.
Künstler, die ich im TV zuletzt als Kinder oder Jugendliche gesehen habe, waren plötzlich erwachsen oder hatten eigene Kinder. Es hat sich angefühlt, als wären diese Menschen in einer Zeitmaschine gewesen.

Inzwischen habe ich die fehlenden Jahre so weit zusammengepuzzelt, dass ich keine erschreckenden (Wieder)Begegnungen mehr habe.

wiedergehenlernen wieder gehen lernen paresen lähmungen zeit Bildtext Zeit - eines der großen Mysterien. Mit fortschreitendem Alter vergeht sie gefühlt immer schneller.
Zeit – eines der großen Mysterien. Mit fortschreitendem Alter vergeht sie gefühlt immer schneller.

Der menschliche Körper – das achte Weltwunder
Und immer wieder geschieht in diesen Jahren etwas, dass ich zunächst kaum wahrnehme und das mich staunen lässt. Auch nach dieser langen Zeit gibt es immer wieder Verbesserungen meiner Befindlichkeiten.

Nach dem Unfall hatte ich fürchterliche Spastiken. Meine armen Arme, das rechte (wenig verletzte) Bein und mein Kopf sind permanent unkontrolliert durch ihr Umland gesaust. Sobald ich meine Augen geschlossen habe, hat sich diese Erscheinung extrem verstärkt.

Nervende Nerven
Erholung oder gar Schlaf war so kaum möglich. Bei jedem Versuch, zur Ruhe zu kommen (was mit geschlossenen Augen besser möglich ist), haben meine Nerven begonnen, mich zu nerven.

wiedergehenlernen. Bild auf Seite Beitrag fliegende Arme und schlaflose Beine. Bildtext: Das menschliche Nervensystem - scheinbar unendliche Mengen und Windungen. Sie steuern unsere Bewegungen. Fällt eine Funktion aus, können Nerven neue Wege finden, um die Funktion wieder zu ermöglichen. Wichtigste Voraussetzung: Der eigene Wille.
Das menschliche Nervensystem – scheinbar unendliche Windungen und Wege. Sie steuern auch unsere Bewegungen. Fällt eine Funktion aus, können Nerven neue Wege finden, um die Funktion wieder zu ermöglichen. Wichtigste Voraussetzung: Der eigene Wille.

Bitte drei Meter Mindestabstand halten
Dann war Action am Körper. Und für Menschen, Tiere oder sonstige Wesen war es nicht ungefährlich, zu nah neben mir zu stehen, sitzen oder zu gehen. Da konnte schonmal eine nicht geplante (vielleicht leis gedachte) Backpfeife den Nebenmann oder die Nebenfrau treffen. Oder mein rechtes Bein den Allerwertesten mit einem kräftigen Tritt besuchen. Heute ärgere ich mich gelegentlich, dass ich diese Situation nicht ausgenutzt habe.

Formvollendete Fachkompetenz
Es gab genug Deppen die sowohl eine Backpfeife wie auch einen Tritt verdient hätten. Allen voran der Arschitekt der Telekom AG, Herr Meyer mit großem M und kleinem Fachverstand. Der in seiner formvollendeten Fachkompetenz eine tonnenschwere Wand de facto ohne Befestigung in den Raum hat bauen lassen.

Feinster Ausdruckstanz mit Wegbeschreibung
Ohne dass ich selbst etwas tun musste, haben Arme, Bein und Kopf ungeplante und nicht gewollte Bewegungsmuster vollzogen. Man wusste nicht, war es Ausdruckstanz oder eine Wegbeschreibung nach der niemand gefragt hatte.

Zu diesem ganzen Unsinn hat sich dann noch das linke Bein (das mit dem Aua) gesellt und bei jedem Versuch ruhen oder schlafen zu können, ist das Bein losgelaufen als gäbe es einen Oscar dafür. Eine anstrengende Kombination.

Dann geh doch… (unterlegt mit der Melodie des gleichnamigen Gesangsstück von Howard Carpendale)
Einige Körperteile flogen schmerzhaft umher und das Körperteil, dass im echten Leben ohne Unterstützung nicht mehr gehen kann, begleitete dieses Unterfangen mit liegenden Gehversuchen.

Manch ein gutes Geschirrteil aus der Hutschenreutherserie ist diesen Seltsamkeiten zum Opfer gefallen. Nun habe ich nur noch böses Geschirr. Doch dafür deutlich weniger Spastiken, Zuckungen und sonstige körperliche Mobilitäten.

Der Schokoladenfeind
So plötzlich und laut, wie es nach dem Unfall da war, so allmählich und leise hat es sich aus meinem Körper geschlichen. Wahrscheinlich mag es keine Schokolade und Erdnussbutter. Gefühlt und gegessen besteht mein Leib zu siebzig Prozent aus diesen beiden Köstlichkeiten. Die restlichen dreißig Prozent sind Käsebrote und Schmerzmittel.

Um qualifizierte Erläuterung wird dankbar gebeten
Vielleicht liest irgendwann ein medizinisch gebildetes Wesen diesen Beitrag und kann mit einfachen Worten erklären, was es damit auf sich hat. Leider (oder Göttin sei Dank) bin ich noch immer ohne medizinische Versorgung, so dass ich für vieles keine Erklärung weiß. Die 1,5 Millionen Beiträge im Internet überfordern mich.

Die 70prozentige Beschäftigung meines Oberstübchens. Schokolade in jeder nur denkbaren Form und Sorte. Sie sättigt und führt schnell neue Energie zu. Energie, die mit den Spastiken regelrecht aus dem Körper geschossen wird.