Wohin wird die Reise gehen?

In den vergangen Jahren habe ich mich mit der Frage auseinander gesetzt, wie und wo ich mein (wahrscheinlich) letztes Lebenskapitel leben möchte.

In meinem eigenen Haushalt stoße ich immer wieder an Grenzen. Die Wohnung ist zwar schön, doch leider nicht behindertengerecht. Dies, die Tatsache, dass ich meinen Alltag nur noch schwer bewältigen kann, sowie die außerordentliche Kündigung durch meine Vermieterin (eine lange, eine andere Geschichte) haben mir die zunächst angstmachende Entscheidung leichter gemacht.

Und so bin ich froh, wenn ich im Laufe dieses Jahres ein neues Zuhause finden kann in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Betreuung. Mit Unterstützung des LWV Darmstadts (Landeswohlfahrtverband) bin ich sicher für meine letzte Lebensdekade eine gute und passende Unterkunft zu finden.

Vorfreude und Hoffnung wachsen

Haben zunächst ängstliche und traurige Gedanken bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema überwogen, stellt sich allmählich Erleichterung und Vorfreude ein. Die Vorstellung, mich künftig um nichts als um mich kümmern zu können, sprengt momentan noch meine Vorstellungskraft. Ebenso der Gedanke daran, wieder anderen Menschen zu begegnen. Nach mehr als zehn Jahren sozialer Isolation schier überwältigend. Ebenso wie der Gedanke, dann endlich meinen Interessen nachgehen zu können. Meine Bücher fertig zu stellen, meine Kreativität wieder leben zu können – pures Glücksgefühl.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wohin diese Reise führt. Da ich regional ungebunden bin, kann dass deutschlandweit fast überall sein. Hauptsache, weg von der Telekom, die hier omnipräsent ist.

Voller Hoffnung und Vorfreude und der Frage, wohin die Reise gehen wird

Loslassen – das große Zauberwort

Da meine neue Unterkunft räumlich wesentlich begrenzter sein wird als mein jetziges zuhause, werde ich fast alles Materielle hinter mir lassen müssen (dürfen?). Dieser Gedanke schafft mir inzwischen mehr Erleichterung als Sorge. In meinem Leben gab es bereits einige große Lebensumbrüche und Neuanfänge.

So der „Weggang“ vor mehr als dreißig Jahren aus der damaligen DDR in die BRD.

Gedankenreise in die Vergangenheit

Mit einer Reisetasche mit dem Allernötigsten wie persönliche Dokumente, nötigste Kleidung und ein paar Erinnerungsfotos. Begleitet von der Angst in eine Reise ins Ungewisse. Viel hätte damals noch schiefgehen können. Die Zugfahrt ohne zu Wissen, wo genau der Zug hinfährt, war der reinste Horrortrip.
Hunderte Gleichgesinnte waren zusammengequetscht in den Abteils. Kinder lagen weinend und schreiend in den Gepäckablagen. Alte Menschen saßen zitternd da mit der Angst, die eigenen Kinder und Enkel ebenso wie die Heimat vielleicht nie wieder sehen zu können.

Hoffentlich hält er dicht

Nur ein nahestehender Angehöriger wusste von meinem Vorhaben, nicht mehr nach Hause zu kommen und unmittelbar nach der Arbeit die Reise in eine unbekannte Zukunft anzutreten. Nur mit einer kleinen, möglichst unauffälligen Reisetasche mit den allernötigsten Dingen.

Von meinem Arbeitskollegen habe ich mich wie jeden Tag verabschiedet, ebenso von Freunden und allen anderen Angehörigen, die ich in den Tagen und Wochen vor meiner Abreise getroffen habe. Ein befremdliches Gefühl, dass mitunter tiefe Emotionen hervorgerufen hat.
Selbst wenn der Wunsch einen fast zerrissen hat, zu sagen, dass es das letzte Treffen sein wird, möglicherweise ohne eine Chance auf ein Wiedersehen. Doch als DDR-Bürgerin wusste man, wann es besser war zu schweigen und sich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen.

Der Duft der großen weiten Welt

In dem Zugabteil hat es gerochen wie in einem wochenlang nicht gereinigten Pumakäfig. Damals, mit Anfang zwanzig wusste ich noch nicht, was für ein Geruch das war. Heute, nach meinem überlebten Unfall und bis heute anhaltenden Reise der Traumaheilung weiss ich, dass Angst nicht nur riecht – sie stinkt derart unangenehm, dass einem von der eigenen Duftnote übel wird. Kein Waschen, kein Deo, nicht das teuerste Parfüm schafft Abhilfe.

Begegnung zweier Welten

Fast ohnmächtig von diesem hundertfachen Angstgeruch dauerte die Zugfahrt in das neue Land und neue Leben etwa zehn Stunden. An der damaligen deutsch-deutschen Grenze wurde der Angstgeruch ins Unendliche gesteigert. Die ostdeutschen Grenzsoldaten trampelten durch die Abteile und hatten dabei ihre Maschinenpistolen auf die verängstigen Menschen gerichtet. Ohne Angabe von Gründen wurden Leute aus dem Zug geholt. Abgeführt wie Schwerverbrecher. Vor und hinter ihnen schwerbewaffnete Soldaten, die ohne zu Zögern von ihren noch existierenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Kaum dass ihnen der Moment gelassen wurde, persönliche Dinge mitzunehmen oder sich von Angehörigen zu verabschieden. Für einige von ihnen war die Fahrt damit zu Ende. Der neue Aufenthaltsort für sie war das Untersuchungsgefängnisse.

Wenn es sein musste, haben die Soldaten und Polizisten der damaligen DDR bis zum letztmöglichen Moment geschossen. Für sie waren all die Menschen, die ihre Heimat verließen in der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit mit mehr Selbstbestimmung, Staatsfeinde und Verbrecher.

Ankunft im neuen Land

Wenige Kilometer, doch Stunden später, wurde es freundlich und menschlich. Die westdeutschen Grenzpolizisten waren das völlige Gegenprogramm und haben uns in Erstaunen mit offenen Mündern versetzt. Kein Schreien, keine Kommandos, keine Aufforderungen, den Zug zu verlassen. Keine Waffen, die auf uns gerichtet wurden. Stattdessen Aufklärung darüber, wo wir sind, wo der Zug hinfährt und was die nächsten Halteorte sein werden. Und endlich erfuhren wir auch den Zielort des Zuges.

Wer im „falschen“ Abteil saß, landete in der Pampa – doch immerhin in der westdeutschen Pampa!

Pro Halteort wurde jeweils der letzte Wagon abgehängt, so dass am Zielort (Frankfurt am Main) die Lok nur noch mit einem oder zwei Abteilen einfahren sollte. So sollte eine gerechte Aufteilung auf verschiedene Orte sicher gestellt werden.

Ich hatte das „Glück“, in einem Ort nahe Fulda abgehängt zu werden. Dort war ein Auffanglager für die nächsten Monate meine zuhause. In einem riesigen Raum mit drei-Stockwerk-Betten vereint in Gedanken mit all den anderen Menschen, denn alle hatten wir ähnliche Hoffnungen und Wünsche. Und auch unsere Ängste und Sorgen waren ähnlich***.

Zurück in die Gegenwart

Von derartiger Dramatik ist heute keine Spur. Vielmehr fange ich an, mich auf diesen neuen Lebensabschnitt zu freuen. Es könnte meine leichteste Lebensphase werden. Trotzt meiner körperlichen Verletzungen, trotzt der traumatischen Unfallerfahrungen, trotzt der Tatsache, dass ich meine geliebten Wellies* nicht werde mitnehmen können. Für sie gilt es, ebenfalls eine gute Lösung zu finden.

Zwischen die angst- und sorgenvollen Gedanken mischt sich immer mehr Vorfreude und Hoffnung. Diese Hoffnung trägt derart, dass meine momentane Lebenslage, erschwert auch durch eine äußerst unangenehme** Vermieterin, erträglicher wird.

Auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt

*Wellensittiche
**die höflichste Form der Umschreibung
***über meine Ost-West-Erfahrungen ist ein Buch in Planung.

Bilder: Pixabay
Bildbearbeitung: Katrin F. E. Dohnt von wgl – wiedergehenlernen

WGL-NETZWERK

KONTAKTE UND ANSPRECHPARTNER*INNEN

aus verschiedenen Branchen und Bereichen. Die Seite wird fortlaufend aktualisiert. Wenn ihr auch eine Internet-Adresse kennt mit Bezug zum Thema wiedergehenlernen, sendet diese bitte per email an wgl mit dem Betreff WGL-NETZWERK. Gerne übernimmt wgl die Adresse im WGL-Netzwerk auf. Auf Wunsch auch mit eurer Namens- und Homepagenennung.

Per Klick zum WGL-NETZWERK

WIEDERGEHENLERNEN.com, das wgl-netzwerk, kontakte und ansprechpartnerInnen

HIRNVERLETZUNGEN: APHASIE

(Sprachstörungen)

Seiteninhalte

  • Allgemeines und Persönliche Erfahrungen
  • Kontakte
  • Downloads

Unfall- oder Erkrankungsbedingte Hirnverletzungen können sehr vielfältige Auswirkungen haben. Eine davon ist die Aphasie, der Verlust oder die Störung der Sprachfähigkeit.

Persönliche Erfahrungen:
Unmittelbar nach meinem Unfall 2006 war ich im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Bedingt zum einen durch den Schock, zum anderen durch die erlittenen Hirnverletzungen (epidurale und subdurale Hirnblutungen, Schädel-Hirn-Trauma) haben mir die Worte gefehlt.

Ich wusste nicht mehr, dass ein Stuhl Stuhl heisst und ein Tisch Tisch. Die ersten Monate nach dem Unfall wusste ich nicht mal mehr meinen Namen und den von meiner Partnerin und von Freundinnen und Freunden. Eine sehr verstörende und beängstigende Erfahrung.

Wenn ich in Gesprächen nach Worten gesucht habe, wurde das als lustig abgetan. Mein Freundeskreis war der Meinung, ich mache Späße. Da mein Humor vor dem Unfall sehr ausgeprägt war, hätte dies durchaus möglich sein können. Doch nach einem Unfall mit dem Ausmaß meines überlebten Unfalls hätte jeder normal denkende Mensch ahnen können, dass meine Sprachlosigkeiten und Wortsuchen keine humoristischen Einlagen waren.

Kinderbücher als Lösung

Bis 2016 / 2017, mehr als zehn Jahre nach meinem Unfall hatte ich Probleme, für das was ich sagen wollte, die richtigen Worte zu finden. Bereits 2007 hatte ich damit begonnen, mit Kinderbüchern einen Teil meiner Probleme zu lösen.

Eine medizinische Versorgung oder Behandlung hatte ich nach wie vor nicht, so musste ich eigene Lösungen finden. Kinderbücher mit viel Bildern und mit wenig Text haben mir dabei geholfen. Auch Bilderbücher, die Gegenstände abbilden und mit einem Wort beschreiben, haben mir geholfen.

Wieder sprechen und gehen lernen

Auch das wiedergehenlernen habe ich mit Büchern für werdende Mütter begonnen. Beschreibungen mit Bildern, wie Babys aus ihrer Liegeposition in die Gehbewegung kommt, habe ich regelrecht verschlungen.

Heute, 2022 – knapp zwei Jahrzehnte nach dem Unfall, funktioniert meine Sprache zu 85 Prozent wieder (persönliche Einschätzung). In Stresssituationen versagt die Wortfindung noch. Oft vertausche ich Worte innerhalb eines Satzes, so dass mitunter unterhaltsame Redewendungen entstehen, wie … auf den Schluck muss ich erstmal einen Wasser Schreck trinken... Tatsächlich sagen wollte ich Auf den Schreck muss ich erstmal einen Schluck Wasser trinken.

Oft habe ich das Gefühl, mein Gehirn kann die benötigten Worte nicht so schnell aus seiner Ablage ziehen wie sie gebraucht werden.

Sprache hat für mich eine besondere Bedeutung. Vor meinem Unfall habe ich von klein auf geschrieben. Gedichte, Geschichten, slles was sich schreiben lässt, habe ich geschrieben. Die deutsche Sprache war wie ein Lieblingskleidungsstück.

Nur noch Platz für Wesentliches

Nicht zurück gekommen sind meine englischen Sprachkenntnisse. Als IT-lerin habe ich in meinem Beruf viele englische Fachbegriffe verwendet, meist spezielle IT-Begriffe. Privat habe ich mich jahrelang durch englische Sprachkurse gearbeitet. All das war und ist seit dem Unfall weg. Englisch ist für mich heute ein Buch mit sieben Siegeln. Und mir fehlt die Kraft, mich wieder darin einzuarbeiten. Zu wichtig sind viele Alltagsdinge, die existenziell sind. Wie zum Beispiel das Zubereiten von Mahlzeiten. Erst jetzt, siebzehn Jahre nach dem Unfall überfordert es mich nicht mehr, ein Frühstück oder ein (kaltes) Abendessen zuzubereiten, vorzugsweise Käsebrot. Seit kurzem habe ich die Kraft und die Gedanken dafür, auch Beilagen wie Oliven oder Gurken mit anzurichten.


DOWNLOADS

Ratgeber Kinder mit Schädel-Hirn-Trauma und Aphasie in der Schule

PERSÖNLICHES

Und wieder ein kleiner Schritt in Richtung Leben

Eine Begeisterung aus früheren Zeiten (vor dem Unfall Jan 2006) hat mich zurückerobert. Vielleicht habe auch ich sie mir zurückerobert. Egal, das Ergebnis zählt. Und das macht wieder Freude: Das kreative Arbeiten mit Bildern.

Nachdem vor etwa einem Jahr (Sommer 2021) die Freude am kreativen Gestalten mit den neuen Techniken sowie mein Interesse an Kreativ-Programmen wieder Einzug in mein Leben gehalten haben, hat mich nun das Bild-Bearbeitungs-Fieber ereilt. Dank vieler toller Bildbearbeitungsprogramme scheinen der eigenen Kreativität kaum Grenzen gesetzt.

ANERKENNUNG UND WERTSCHÄTZUNG

Ich habe mich getraut…
…einen Account bei einer Bild-Plattform einzurichten. Mit erstaunlichen Erlebnissen. Noch während ich meine ersten Bilder hochgeladen habe, haben andere Flickr-User einige meine Arbeiten als Favoriten abgelegt. Eine tolle Erfahrung.

Auch das macht Menschsein aus
Für jeden Menschen sind Rückmeldungen auf das eigene Tun und Lassen wichtig. Niemand von uns lebt in seiner eigenem Universum, auch wenn es sich vielleicht mitunter so anfühlen mag. Menschen sind Gesellschaftswesen und als solche auf ein (gutes) Miteinander angewiesen.

DER MENSCH IST EIN GESCHELLSCHAFTSWESEN

Ohne Austausch geht der Mensch ein
Ich weiss wovon ich spreche. Leider. Mehr als zehn Jahre habe ich in einem abgeschirmten Universum existiert. Einzige Sozialkontakte waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegediensten und anderen Hilfseinrichtungen. Das Einsamkeit krank macht und Menschen sogar in den Selbstmord treiben kann, ist wissenschaftlich hinlänglich nachgewiesen. Nach meiner Wahrnehmung haben sich viele Menschen in Folge von Corona aus dem Offline-Leben zurückgezogen und fokussieren sich deutlich mehr auf sich selbst.

Das Gute der (ass)sozialen Medien
Das Gute von sozialen Medien ist die Möglichkeit, (schnell und ohne große Hürden) mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Sich über gleiche Themen und Interessen auszutauschen – von Andalusien bis in die Antarktis. Für Menschen mit Handy- und Fussicap hat diese Art der Kommunikation einen besonders hohen Stellenwert. Ist es mir nicht möglich, die Welt mit meiner Anwesenheit zu beglücken, beglücke ich die Welt online.
Es liegt allein an uns, was wir aus unserem Miteinander machen. Ob wir verbal um uns schlagen wie die Neandertaler oder ob wir uns daran erinnern, wie wir Offline miteinander umgehen. Von Angesicht zu Angesicht existieren bei manch einer und einem noch Benimmhürden, die im Netz schamlos fallengelassen werden.

WIE ICH SELBST ANGENOMMEN WERDEN MÖCHTE

Es liegt an uns
Jede einzelne und jeder einzelne hat die Möglichkeit, mit jedem Beitrag im Netz die (Online)Welt ein kleines bisschen freundlicher zu machen. Im Übrigen ist es ein Irrglauben, Online-Hetzerinnen und -Hetzer könnten nicht nachverfolgt werden. Über die sogenannte IP-Adresse lässt sich jedes Stück Technik wie Desktop-PC, Tablet, Drucker etc. feststellen. Die IP-Adresse ist vergleichbar mit dem menschlichen Fingerabdruck.
Dass viele Hetz- und Hasskommentar ohne Folgen bleiben, liegt an dem Personalmangel bei Polizei und anderen Behörden.

Mit meinen Bildern möchte ich die Welt zumindest ein klein wenig bunter machen. Viel Freude beim Stöbern und Betrachten.

So wich selbst angenommen werden möchte, so gehe ich auch mit meinen Mitmenschen um. Nicht immer kommt dabei ein Gleichgewicht heraus. Es gibt Stinker, die sich selbst nicht mögen. Wie sollen sie da andere mögen können. In diesen Begegnungen heisst es sachlich zu bleiben und wenn möglich, den Kontakt zu kappen. Ich muss mir nicht jeden Irrsinn antun.

Weil ein Bild mehr sagt als tausend Worte

Einige meiner Bilderwerke

katrindohnt_zauber_s3_b3

Fliegende Arme, ein schlafloses Bein und ein zuckender Kopf

Es ist Herbst 2022 – seit fast siebzehn Jahren lebe ich mein anderes, mein zweites Leben.

Vor allem die ersten dreizehn bis vierzehn Jahre kommen mir noch immer unwirklich vor. Meine zeitliche Wahrnehmung hat sich völlig verändert.
Ein Monat fühlt sich an wie drei Tage, die vergangene dreizehn bis vierzehn Jahre hat eine Wahrnehmung von maximal drei bis fünf Jahren.

Verlorene Zeit und befremdliche Begegnungen
Dazu kommt das Gefühl, zehn Jahre verpasst zu haben. Zehn Jahre, in denen ich von der Außenwelt kaum bis gar nichts mitbekommen habe. Das Erschrecken war oft groß, wenn ich im Nachhinein von Menschen erfahren habe, die in dieser Zeit verstorben oder erwachsen geworden waren.
Künstler, die ich im TV zuletzt als Kinder oder Jugendliche gesehen habe, waren plötzlich erwachsen oder hatten eigene Kinder. Es hat sich angefühlt, als wären diese Menschen in einer Zeitmaschine gewesen.

Inzwischen habe ich die fehlenden Jahre so weit zusammengepuzzelt, dass ich keine erschreckenden (Wieder)Begegnungen mehr habe.

wiedergehenlernen wieder gehen lernen paresen lähmungen zeit Bildtext Zeit - eines der großen Mysterien. Mit fortschreitendem Alter vergeht sie gefühlt immer schneller.
Zeit – eines der großen Mysterien. Mit fortschreitendem Alter vergeht sie gefühlt immer schneller.

Der menschliche Körper – das achte Weltwunder
Und immer wieder geschieht in diesen Jahren etwas, dass ich zunächst kaum wahrnehme und das mich staunen lässt. Auch nach dieser langen Zeit gibt es immer wieder Verbesserungen meiner Befindlichkeiten.

Nach dem Unfall hatte ich fürchterliche Spastiken. Meine armen Arme, das rechte (wenig verletzte) Bein und mein Kopf sind permanent unkontrolliert durch ihr Umland gesaust. Sobald ich meine Augen geschlossen habe, hat sich diese Erscheinung extrem verstärkt.

Nervende Nerven
Erholung oder gar Schlaf war so kaum möglich. Bei jedem Versuch, zur Ruhe zu kommen (was mit geschlossenen Augen besser möglich ist), haben meine Nerven begonnen, mich zu nerven.

wiedergehenlernen. Bild auf Seite Beitrag fliegende Arme und schlaflose Beine. Bildtext: Das menschliche Nervensystem - scheinbar unendliche Mengen und Windungen. Sie steuern unsere Bewegungen. Fällt eine Funktion aus, können Nerven neue Wege finden, um die Funktion wieder zu ermöglichen. Wichtigste Voraussetzung: Der eigene Wille.
Das menschliche Nervensystem – scheinbar unendliche Windungen und Wege. Sie steuern auch unsere Bewegungen. Fällt eine Funktion aus, können Nerven neue Wege finden, um die Funktion wieder zu ermöglichen. Wichtigste Voraussetzung: Der eigene Wille.

Bitte drei Meter Mindestabstand halten
Dann war Action am Körper. Und für Menschen, Tiere oder sonstige Wesen war es nicht ungefährlich, zu nah neben mir zu stehen, sitzen oder zu gehen. Da konnte schonmal eine nicht geplante (vielleicht leis gedachte) Backpfeife den Nebenmann oder die Nebenfrau treffen. Oder mein rechtes Bein den Allerwertesten mit einem kräftigen Tritt besuchen. Heute ärgere ich mich gelegentlich, dass ich diese Situation nicht ausgenutzt habe.

Formvollendete Fachkompetenz
Es gab genug Deppen die sowohl eine Backpfeife wie auch einen Tritt verdient hätten. Allen voran der Arschitekt der Telekom AG, Herr Meyer mit großem M und kleinem Fachverstand. Der in seiner formvollendeten Fachkompetenz eine tonnenschwere Wand de facto ohne Befestigung in den Raum hat bauen lassen.

Feinster Ausdruckstanz mit Wegbeschreibung
Ohne dass ich selbst etwas tun musste, haben Arme, Bein und Kopf ungeplante und nicht gewollte Bewegungsmuster vollzogen. Man wusste nicht, war es Ausdruckstanz oder eine Wegbeschreibung nach der niemand gefragt hatte.

Zu diesem ganzen Unsinn hat sich dann noch das linke Bein (das mit dem Aua) gesellt und bei jedem Versuch ruhen oder schlafen zu können, ist das Bein losgelaufen als gäbe es einen Oscar dafür. Eine anstrengende Kombination.

Dann geh doch… (unterlegt mit der Melodie des gleichnamigen Gesangsstück von Howard Carpendale)
Einige Körperteile flogen schmerzhaft umher und das Körperteil, dass im echten Leben ohne Unterstützung nicht mehr gehen kann, begleitete dieses Unterfangen mit liegenden Gehversuchen.

Manch ein gutes Geschirrteil aus der Hutschenreutherserie ist diesen Seltsamkeiten zum Opfer gefallen. Nun habe ich nur noch böses Geschirr. Doch dafür deutlich weniger Spastiken, Zuckungen und sonstige körperliche Mobilitäten.

Der Schokoladenfeind
So plötzlich und laut, wie es nach dem Unfall da war, so allmählich und leise hat es sich aus meinem Körper geschlichen. Wahrscheinlich mag es keine Schokolade und Erdnussbutter. Gefühlt und gegessen besteht mein Leib zu siebzig Prozent aus diesen beiden Köstlichkeiten. Die restlichen dreißig Prozent sind Käsebrote und Schmerzmittel.

Um qualifizierte Erläuterung wird dankbar gebeten
Vielleicht liest irgendwann ein medizinisch gebildetes Wesen diesen Beitrag und kann mit einfachen Worten erklären, was es damit auf sich hat. Leider (oder Göttin sei Dank) bin ich noch immer ohne medizinische Versorgung, so dass ich für vieles keine Erklärung weiß. Die 1,5 Millionen Beiträge im Internet überfordern mich.

Die 70prozentige Beschäftigung meines Oberstübchens. Schokolade in jeder nur denkbaren Form und Sorte. Sie sättigt und führt schnell neue Energie zu. Energie, die mit den Spastiken regelrecht aus dem Körper geschossen wird.

Ein Tag leben.

Drei Tage liegen.

Gehen verbraucht heute soviel Kraft, dass ich nach einem einstündigen Einkauf oder einem Arztbesuch drei Tage Pause brauche. An diesen Folgetagen geht dann kaum noch etwas. Mein Körper zittert vor sich hin, als gäbe es einen Preis dafür. Die Kraft zum Aufstehen fehlt. Nicht selten fehlt die Kraft, den Kopf vom Kissen zu heben. Oftmals kommen zu diesen Erschöpfungen Schmerzen trotzt starker Schmerzmittel hinzu.

Schmerzpartys und Schmerzinseln

Die Körperstellen, auf welchen die Wand damals aufgeschlagen ist befeuern sich gegenseitig. Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule und das linke Bein feiern eine Schmerzparty. Irgendwann ist der gesamte Körper eine Schmerzinsel.